Als Parkanlage im nördlichen Auenwald bin ich, das Rosental, Leipzigern und ihren Gästen seit bald tausend Jahren bekannt. Suchen Spazierende mich auf, passieren sie zuvor Straßen, Orte und Gebäude, die an Kunstschaffende vergangener Zeiten wie Tschaikowski, Nietzsche oder Beckmann erinnern. Doch wie sieht es mit zeitgenössischen Kreativen aus, die sich hier in meiner Nähe angesiedelt haben und mit ihren Kunstwerken das großstädtische Leben prägen?
Liebe Anna, da ich dich schon sehr lange kenne, weiß ich, dass du in vielen kreativen Dingen sehr talentiert bist. Aber die meisten Leipziger kennen dich wahrscheinlich vor allem als mixed-abled Tänzerin und Projektleiterin des Tanzlabor Leipzig, das im soziokulturellen Zentrum Die VILLA ansässig ist. Daher würde ich gern zuerst wissen: Wie bist du denn zum Tanzen gekommen?
Liebes Rosental, ja wir kennen uns schon eine Weile, als gebürtige Leipzigerin habe ich dich schon oft besucht, wohne inzwischen auch ganz in deiner Nähe. Immer begrüßt du mich mit viel Wind und Bewegung, wie auch beim Tanzen. Zum Tanzen bin ich tatsächlich durch die VILLA gekommen, ich war immer mal mit der Jugendgruppe „Rollingcats“ dort, eine Gruppe aus behinderten Jugendlichen, welche sich häufig in der VILLA zu Freizeitaktivitäten traf. Wir wurden eines Tages von der Leipziger Choreografin Heike Hennig angesprochen und spontan zu ihrer Tanzprobe eingeladen. Und was soll ich sagen, seitdem haben wir nicht mehr aufgehört zu tanzen. Später sind dann Strukturen dazu gekommen, so dass es jetzt das Tanzlabor Leipzig als ein Projekt der VILLA gGmbH gibt. Aus den Jugendlichen sind inzwischen Erwachsene geworden und zwei von der damaligen Gruppe, Katja und ich, sind immer noch eng mit dem Tanz verbunden.
Wenn du an deine Tanzanfänge zurückdenkst, die ja nun schon bald zwanzig Jahre zurückliegen: Was hat dich damals besonders am Tanzen fasziniert und was davon ist bis heute geblieben?
Besonders fasziniert mich, was Tanz alles sein kann und dass jeder Mensch tanzen kann. Es gibt in unserer Gesellschaft Ideale, wie ein Körper auszusehen hat und welche Körper gut tanzen können. Auch wenn ich bereits als kleines Kind gerne getanzt habe, so war mir immer bewusst, dass ich mit meinem Körper und meiner Bewegung nicht diesen Idealen entspreche. Durch den Zeitgenössischen Tanz konnte ich mich ein Stück von diesen verkrusteten Idealvorstellungen lösen und neue Ideale entdecken. Ich konnte die Schönheit meiner Bewegung erkennen. Konnte erkennen, dass auch kleine Bewegungen viel Ausdruck haben. Konnte erkennen, dass jeder Körper sich anders bewegt und welche Schönheit in den vielen individuellen Bewegungen steckt.
Erlebt man dich auf der Bühne, wie erst kürzlich im Stück The Person I Am, dann scheinen sich für den Betrachtenden die Grenzen zwischen Tanz als Sport, als Kunstform, als soziale Interaktion und als Ausdruck von Gefühlen zu vermischen. Welchen dieser Aspekte magst du denn besonders gern und warum?
Das ist das Schöne am Tanz, er kann alles sein. Sport, Kunst, Interaktion oder Gefühlsausdruck. Und alles funktioniert zusammen und fügt sich zueinander. Ich bin immer wieder fasziniert, wie wir durch Tanz miteinander kommunizieren können und wie schnell dort auch eine tiefere Ebene der Interaktion erreicht werden kann. Tanz ist eine Form, wie wir ein bisschen von uns anderen zeigen können und so kommen wir in Kontakt und in Verbindung, auch ohne Worte.
Inmitten meiner Natur sehe ich täglich viele Menschen. Die meisten von ihnen sind ständig in Bewegung, sie spazieren, joggen oder fahren Rad. Andere wiederum sitzen auf der Wiese, hüpfen über Baumstämme oder erklimmen Klettergerüste. Aber nur sehr selten habe ich hier bisher Menschen tanzen sehen. Wie ist das bei dir? Tanzt du lieber in einem Saal oder unter freiem Himmel?
Aus Gründen der Barrierefreiheit bevorzuge ich meistens den Tanzsaal. Ich sitze im Rollstuhl und habe wenig Muskelkraft, da bieten gerade Flächen für mich mehr Potential für die Bewegung im Raum. Vom Tanzlabor Leipzig haben jedoch schon einige auch im Rosental getanzt. Mir fällt da direkt das interkulturelle Kinderfest der VILLA bei dir, liebes Rosental, ein, bei dem das Tanzlabor Leipzig die letzten Jahre immer einen kleinen Auftritt hatte. Auf Tanzmatten haben unsere Tänzer:innen vor großen Kinderaugen getanzt.
In der Filmproduktion Wood – Water – Stone hast du dich sehr eindrucksvoll tänzerisch mit einem Baum verbunden. Kannst du dir vorstellen, irgendwann einmal irgendwo in meinem Teil des Auenwaldes zu performen? Und wenn ja, was wären dann deine Wunschkulisse und die Musik oder Sounds deiner Wahl?
Ja, ich kann mir das sehr gut vorstellen. Ich bin ein klassisches Stadtkind, liebe Häuser, Stadtgeräusche und das Treiben der großen City. Die Filmproduktion WOOD – WATER – STONE hat mich dazu gebracht, mich einmal intensiv mit Bäumen auseinander zu setzen. In den Proben bestand meine Aufgabe darin, einen Baum auf mich wirken zu lassen und zu schauen, was es mit mir macht. Das klingt banal, aber so intensiv habe ich noch nie einen Baum angeschaut, so intensiv habe ich noch nie versucht, die Struktur, den Charakter, das Wesen eines Baumes zu verstehen. Ich habe für mich einen Weg über Bewegungen gefunden, wie ich mit dem Baum kommuniziere, wie wir für einen kurzen Moment in Interaktion kommen. Das hat mich sehr beeindruckt und ich bin seitdem neugierig auf Bäume, auf Wiesen, Blumen und Gräser. Liebes Rosental, gerne würde ich auch mit dir so in Interaktion kommen. An deinen hellen und deinen dunklen Orten möchte ich sein. Den Sound, den bringst vielleicht du selbst?
Die Stilrichtung, in der du dich tänzerisch bewegst, ist der Zeitgenössische Tanz, aber die Musik, die dich live oder im Film begleitet, entstammt ganz unterschiedlichen Genres. Hast du dennoch für die akustische Untermalung deiner Kunst eine bestimmte Präferenz?
Ich mag es beim Zeitgenössischen Tanz, dass alles an Sound und Musik möglich ist. Natürlich tanzt wohl jeder gerne zu Lieblingsmusik, aber wirklich spannend finde ich es, wenn Musik und Sound eigentlich gar nicht meinem Genre entsprechen und ich dennoch Bewegungen finde. Und dann gibt es beim Zeitgenössischen Tanz noch eine Besonderheit, die Stille. Es braucht nicht immer Musik für Bewegung, Tanz funktioniert auch ohne Musik.
Ich weiß, dass du inzwischen selbst Tanzanleiterin bist, Tanzanleitende ausbildest und als Botschafterin für inklusiven Tanz Vorträge hältst. Hast du das Gefühl, dass Inklusion und inklusive Angebote inzwischen von Entscheidungsträgern gut unterstützt und gefördert werden?
Inklusion ist gerade ein beliebtes Thema. Es gibt viele inklusive Projekte und Fördermöglichkeiten. Es ist jedoch inzwischen an der Zeit, einmal darüber nachzudenken, wie Inklusion aussehen kann und sinnvoll gelebt werden kann. Oftmals sind behinderte Menschen „nur“ die Teilnehmenden an Projekten, für nachhaltigere Projekte braucht es unbedingt behinderte Menschen auch in anderen Rollen. Beim Tanzlabor Leipzig versuchen wir das durch die Ausbildung zur Tanzanleiter:in für Freies Tanzen und durch unsere mixed-abled Arbeitsweise. Behinderte Menschen kommen so in andere Rollen und sind Teilnehmende, aber auch Gestaltende, Anleitende und Organisierende. Inklusion hört nicht bei der Teilnahme auf, sondern geht darüber hinaus. Ich wünsche mir, dass Entscheidungsträger:innen und Förderprojekte diesen Punkt noch mehr berücksichtigen.
Was wünschst du dir konkret für deine weitere Entwicklung im Tanz und für die des Tanzlabor Leipzig?
Für das Tanzlabor Leipzig wünsche ich mir noch viele weitere Jahre und viele Menschen, die durch Tanz berührt werden. Ich persönlich bin gespannt, wie mein Weg mit Tanz weitergeht. Gerne möchte ich weiterhin kleine künstlerische Projekte gestalten und weiter tanzen.
Wenn nun Menschen Lust aufs freie und inklusive Tanzen bekommen haben, was können sie tun? Nimmt das Tanzlabor Leipzig noch neue Tanzbegeisterte auf?
Das Tanzlabor Leipzig ist eine offene mixed-abled Tanzkompanie. Wer Lust hat, der kann einfach gerne dazukommen. Am besten können Interessierte das Tanzlabor Leipzig beim Freien Tanzen kennenlernen. Zwei Mal bieten wir das Freie Tanzen im Monat an, es ist kostenlos und ohne vorherige Anmeldung besuchbar. Tanzanleiter:innen, das sind Choreografen/professionelle Tänzer:innen/Tanzpädagog:innen oder Absolventen der Tanzanleiterausbildung, leiten das Freie Tanzen für zwei Stunden an, Menschen mit und ohne Behinderung tanzen gemeinsam und lernen ihre unterschiedlichen Bewegungsqualitäten kennen. Die aktuellen Termine stehen auf unserer Webseite www.tanzlabor-leipzig.de.
Liebe Anna, meine letzte Frage: Möchte man mit dir in Kontakt treten, wie oder wo wäre das möglich?
Schreibt dazu gerne das Tanzlabor Leipzig an unter kontakt@tanzlabor-leipzig.de oder direkt mich unter Anna.Mueller@villa-leipzig.de. Vielleicht treffen wir uns auch einfach mal im Rosental. 😉
Recht herzlichen Dank!
PS: Auf dem Foto von René Schindler ist Anna (rechts im Bild) mit Pernille Sonne im Stück The Person I Am zu sehen.